Oder: Meine Vision in der Badewanne
Karfreitagmorgen. Ich liege genüsslich in meinem nach Lavendel duftenden Entspannungsbad bei Kerzenschein und indianischer Musik. „Medicine Power“, seit Jahren eine meiner Lieblings-CDs, die mich immer wieder inspiriert. Hinter meinen geschlossenen Augen tauchen Bilder auf, ganze Szenen:
Ich befinde mich jetzt auf dem Vorplatz einer Steinhöhle in einem Wald, neben mir plätschert ein Bach fröhlich dahin, und vor mir bildet sich eine offene Waldlichtung. Die Sonnenstrahlen tanzen in den Zweigen der grünen Bäume, und auf einem großen Stein sitzt ein älterer Mann. Sein Haar ist grauweiß, seine Kleidung aus grobem Stoff, mit vielen farbigen Perlen verziert, und sein intensiver, gütiger Blick ist in die Ferne gerichtet. Die indianische Flöte, die er mit seinen Händen an den Lippen hält, scheint eins zu sein mit seiner Gestalt, und es ist, als würden die Klänge direkt aus seinem Herzen strömen.
„Er ruft die Wesen“, durchfährt es mich.
Und tatsächlich tauchen jetzt von allen Seiten, neugierig und vertrauensselig, Tiere des Waldes auf. Rehe, Hirsche, Bären, Dachse, Füchse, Igel, Pumas, Hasen und Mäuse bleiben im Halbkreis um den Flötenspieler stehen. Völlig friedlich, völlig entspannt.
Dann gesellen sich Würmer, Schlangen, Käfer, Frösche und Kröten dazu, und in der Luft schwirren haufenweise Insekten. Angelockt vom Klang der Flöte lassen sich nun auch alle Arten von Vögeln nieder, die kleineren zum Teil auf den Ästen, die größeren, wie Adler, Bussarde und Habichte, auf der Erde. Auch im Wasser tummeln sich indessen alle Arten von Fischen, Lachse springen in die Luft, und es scheint, als würden in der Ferne sogar die Wale und Delfine den Klängen lauschen.
Schließlich tauchen, zunächst vereinzelt, dann immer mehr Kinder auf, gefolgt von Erwachsenen. Menschen aus allen verschiedenen Ländern und Rassen. Haufenweise nähern sie sich, aus allen Richtungen, von überall her! Sie bleiben gebannt stehen, einige setzen sich und lauschen dem Flötenspiel des weisen Mannes.
Mir ist, als würde ich in der einfachen Melodie folgende Worte vernehmen:
„Willkommen, meine Freunde, willkommen an diesem besonderen Platz, wo wir unsere Einheit feiern. Ich habe euch gerufen, weil wir alle aus der Erde stammen und alle das Licht in unseren Herzen tragen. Wir alle sind hier, um uns an der Schönheit des Lebens zu erfreuen!
Wir sind hier versammelt, um das Gemeinsame, das uns verbindet, zu erkennen, und die Unterschiede, die uns ausmachen, wertzuschätzen. Jedes Wesen von euch hat seine berechtigten Bedürfnisse, und jedes Wesen ist gleich viel wert.“
Während sie alle – die Menschen aus allen Ländern, die großen und kleinen Tiere, die Insekten und Vögel und die Fische und Wassertiere – aufmerksam zuhören, verbreitet sich die Helligkeit um alle herum. Ein tiefes Gefühl von Frieden. Freude. Liebe.
Dann singt die Flöte weiter:
„Wir alle, die diese Freude spüren, die Wertschätzung des Lebens, lasst uns zusammenhalten. Lasst uns diese Energie des Friedens, der Achtung und des Respekts als stärkste Kraft gemeinsam aufrechterhalten, sodass sie sich wie ein Lichtgürtel um die Erde herum schmiegt. Das sind unsere Geburtsrechte und unsere innewohnende Kraft. Jedes Wesen, ganz egal wie groß, hat sie.“
Trommeln lösen jetzt die Flöte ab, und die klare tiefe Stimme des weisen Mannes, der auf dem Stein sitzt, erklingt nun in einer mir fremden Sprache. Und dennoch klingen die Laute so vertraut. Mir ist, als brächten sie eine Botschaft direkt an die versammelten Völker.
„Wir sind reich begabt mit Kreativität, Ideen, Intelligenz. Viele Menschen haben diese Fähigkeiten falsch eingesetzt, zu ihrem eigenen Nutzen und Schaden für alle.
Lasst uns jetzt daran erinnern, dass wir die Kraft und Intelligenz haben, neue Technologien zu entwickeln, welche dem Wohl der ganzen Welt dienen. Lasst uns dafür sorgen, dass wir behutsam, rücksichtsvoll und weise unsere Fähigkeiten so nutzen, dass sie der Erde und allen ihren Bewohnern guttun. Wir sind tatsächlich in der Lage, die bisher entstandenen Schäden einzudämmen und sogar zu beheben, wenn wir gemeinsam und sinnvoll dem Gesamtwohl dienen. Das ist etwas, das Kinder als Weisheit in sich tragen, doch liegt diese zum großen Teil noch verborgen. Es ist unsere Aufgabe als Erwachsene, die Kinder darin zu unterstützen, ihrer Intuition, ihrer angeborenen Intelligenz und ihren Fähigkeiten zu vertrauen. Es ist nicht nötig, ihnen Wissen zu vermitteln, welches nur dem Anhäufen von Geld und Ansehen dient.“
Die Trommeln verstummen. Sanft setzen die Flötentöne wieder ein und mischen sich mit anderen Klängen. Singstimmen von Frauen und Männern, Pfeifen von Greifvögeln und Vogelgezwitscher, Grillengezirp und Quaken der Frösche… Aber dieses Orchester der vielfältigsten Geräusche ist von totaler Harmonie geprägt, es erscheint mir wie eine Explosion der Freude!
In mir taucht aus der Einheit aller dieser Stimmen die Erkenntnis auf: „Es geht um ein Versprechen!“
Und tatsächlich vernehme ich in diesem vielfältigen Gesang folgende Worte:
„Wir alle, die wir uns hier versammelt haben, um die allen Wesen zugrundeliegende Einheit zu feiern, tragen nun die Botschaft der Wertschätzung allen Lebens in die Welt hinaus!
Wir achten gemeinsam darauf, die Bedürfnisse und Eigenarten eines jeden Lebewesens zu respektieren. Wir sind im dankbaren Wissen darum, dass uns die Erde alles gibt, was wir brauchen, und jedes Wesen nimmt nur so viel, wie es zum Leben braucht. Wir teilen. Wir teilen nicht nur materielles Gut, sondern auch unsere Weisheit, unsere Freude und Dankbarkeit. Wir lieben das Leben, wir lieben den Frieden, wir leben in Liebe.“
Stille.
Es ist, als hätten alle leise zugestimmt:
„Ja, wir halten zusammen. Wir kultivieren das Beste in uns allen: Wertschätzung, Lebensfreude und Dankbarkeit!“
Ich bin überwältigt: „Es sind so viele! So viele, die das Gleiche wollen! So viele, die zusammenhalten!“
Während ich nach einer Weile tief berührt, erfrischt und voller Energie aus der Badewanne steige, bleibt ein glückliches Lächeln in meinem Herzen und meinem Gesicht.
Was ich soeben erlebt habe, die große Zusammenkunft der Erdenbewohner, fühlt sich so real an. Und so zeitlos! Was zu Zeiten der Indianer zur Lebensweisheit gehörte, ist weder ausgestorben noch veraltet. Hinter der Kulisse der Kriege, Katastrophen und Sorgen auf der Bühne der heutigen Welt verbinden sich viel mehr liebevolle, lebensfreundliche Wesen, als ich erwartet hätte. Und ich gehöre dazu, du auch?


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