Erholung ohne Ablenkung?

Erholung ohne Ablenkung?

An der Uferpromenade ist viel los. In Scharen ziehen die Menschen an mir vorüber, teils in intensive Gespräche vertieft, teils lachend dahinschlendernd, einige schieben einen Kinderwagen vor sich her, andere gehen an Stöcken. Viele schreiten dahin, den Blick fixiert auf ihr Handy in der Hand vor dem Gesicht. Einige gehen in raschen Schritten, irgendeinem Ziel nachjagend. Kinder rennen, spielen Fangen.

Alle sind beschäftigt.

Hinter dieser Szene breitet sich das tiefblaue Meer aus, mit hellen türkisfarbenen Stellen, und auf den sanften Wellenkämmen kräuselt sich der Schaum wie Schlagsahne. Möwen kreisen über dem Wasser. Im Versuch, in blitzschnellem Sturzflug einen Fisch zu ergattern, steigen sie wieder in die Höhe, kreisen und versuchen ihr Glück erneut.

Aus den ins blaue Meer hinausragenden hellgrauen Felsen leuchten die hell- und dunkelgrünen filigranen Farbtupfer der Pinien, Tamarisken, kleinen Palmen und Rosmarinbüsche hervor.

Und über allem weht vom Meer her eine milde Brise, geschwängert mit dem Duft von Salz und Ferne.
Die wenigen weißen Wolken, die am blauen Himmel vorbeiziehen, vertiefen den Eindruck seiner Unendlichkeit.

Während ich im Hintergrund genüsslich an meinem Café Americano nippe und mit den Fingern die letzten Krümel des soeben verspeisten wohlschmeckenden Kuchens aufpicke, wandert mein Blick über die vor mir liegende Szene.

Was für eine perfekte Welt!

Völlig entspannt lehne ich mich in meinem gepolsterten Holzstuhl zurück, spüre meinen tiefen, ruhigen Atem und die Freude darüber, dass es im Moment einfach nichts zu tun gibt. Einfach hier sein, zuschauen, mich von der Harmonie an diesem Ort durchfluten lassen. Es ist, als würden nicht nur meine Augen das alles in sich aufnehmen, ja, mein ganzer Körper und Geist füllen sich mit Freude, Kraft und Ruhe und lassen das Lächeln in meinem Gesicht nicht mehr weichen, gepaart mit tiefer Dankbarkeit.  

Es gibt nichts zu tun. Nichts zu planen. Nichts nachzuhängen. Einfach jetzt… jetzt… jetzt.

Und irgendwann kommen die Gedanken zurück.
Gedanken über die vielen Menschen, die sich wie betäubt hier tummeln und ihren Vorhaben nachjagen. Sie sind im Urlaub, in den Ferien – worauf sie sich so lange gefreut haben. Auf eine Zeit, in der man befreit ist von Arbeit und Verpflichtungen, eine Zeit, die der Erholung dient.

Aber was bedeutet Erholung?

Laut Google versteht man es als die „Wiedererlangung von psychischen und physischen Kräften“.
Aus meiner Sicht bedeutet Erholung auch, sich selbst wieder „zurückzuholen“.

Zurückholen aus allen Beschäftigungen, die unsere Aufmerksamkeit von uns selbst wegziehen. Die Aufmerksamkeit wird auf unendlich viele äußere Dinge gelenkt, in denen wir uns verlieren können. Manchmal erscheint es mir wie eine fiese Absicht, mit der wir nicht mehr spüren sollen, was wir wirklich empfinden, was wir wirklich möchten und was wir brauchen. Wem würde denn diese Absicht dienen?

Wohl jenen Kräften, die versuchen, Macht über uns zu erlangen. Macht über unser Denken, unsere Entscheidungen, unser Handeln und unsere gesamte Wahrnehmung.  Ich habe schon so oft über dieses Thema geschrieben. Darüber, welche Mittel dazu dienen, Menschen gefügig zu machen, sie in gewisser Dummheit zu belassen, ihnen ihr Selbstvertrauen zu nehmen. Denn Menschen, die ein gesundes Selbstvertrauen haben, lassen sich nicht so einfach manipulieren.

Ich betrachte die vorüberziehenden Leute und frage mich:

Wer von ihnen ist offen, diese unendliche Schönheit in sich aufzunehmen?
Wer von ihnen nimmt sich Zeit, den Blick vom Handy zu lösen?
Wer von ihnen ist bereit, die Gespräche ruhen zu lassen?
Wer von ihnen ist bereit, mit allem innezuhalten und einfach still zu beobachten, wie sich diese wundervolle Natur entfaltet?

Ich schaue mich um und stelle fest, dass ich tatsächlich niemanden sehe, der das tut.

Die Beschäftigung ist allgegenwärtig.

Sie alle sind immerzu beschäftigt. Entweder mit Gedanken an die Vergangenheit oder an Geschäfte zu Hause. Vielleicht schmieden sie Pläne, vielleicht streiten sie, vielleicht sorgen sie sich um ihre Kinder oder ihre Beziehungen. Sie telefonieren oder schreiben WhatsApp-Texte, starren wie gebannt auf die Videoclips, die offenbar spannender sind als die Gegenwart, oder sie sind in Diskussionen vertieft.

Mein Blick wandert wieder über die Uferpromenade hinaus, übers Meer. Welche Offenheit! In den sanften, stetigen Bewegungen der Wellen liegen so viel Ruhe, Gelassenheit und Zuversicht.

Ich stelle mir vor, all diese vorüberziehenden Menschen könnten das jetzt sehen, spüren!

Was wäre wohl, wenn sich alle, die sich hier tummeln, plötzlich hinsetzten, verstummten und einfach das Meer, die Wolken, die Bäume und Steine betrachteten? Ohne Interpretation, ohne Urteil, einfach so. Wenn alles, was zuvor so wichtig erschien, plötzlich verblasste? Es würde vielleicht eine Weile dauern, aber irgendwann würde ein unsichtbarer Vorhang fallen. Ein Vorhang, der im sogenannten normalen Leben die Wahrnehmung für das Lebendige verschließt. Plötzlich würde das pulsierende Leben in der Natur alle unsere Sinne in Beschlag nehmen. Diese Lebenskraft würde jeden von uns durchfluten, uns erfüllen, stärken! Ohne bestimmten Grund würde sich Freude ausbreiten. Denn Freude ist ein Grundgefühl, das ständig in uns vorhanden ist, doch leider meistens verdeckt von unserem Beschäftigtsein. Sie wird spürbar, sobald wir ihr Raum dazu geben.

Freude ist offensichtlich ein Alleskönner!

Sie überschüttet unseren Körper mit Glückshormonen, baut Stress ab, stärkt das Nervensystem und lässt uns entspannen! Sie hat nichts mit dem Gelächter unter Alkohol- oder Drogeneinfluss zu tun, auch nicht mit den Dingen, die wir uns kaufen. Es ist die Freude, die einfach vorhanden ist, in uns, um uns, sozusagen eine Begleiterscheinung vom Atem der Natur.

Hast du schon mal bemerkt, dass sämtliche Leute, ob Erwachsene oder Kinder, unweigerlich lachen, wenn die Wellen des Meeres sie bespritzen oder ihnen gar die Füße vom Boden wegziehen? Sie alle lachen, wenn sie sich im kühlen Nass tummeln, und fast alle zeigen plötzlich kindliche Regungen wie sich gegenseitig herumtragen, unter Wasser drücken, bespritzen, schmusen…

Niemand hat ihnen gesagt, was sie im Wasser empfinden sollen, aber alle zeigen ähnliche Symptome!

Beim Baden im Meer sind wir unweigerlich in der Gegenwart. Die Wellen, das kühle Wasser und der unsichere oder verschwindende Boden erfordern totale Aufmerksamkeit. Und genau das lässt uns diese unmittelbare Freude spüren.

Die totale Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt. Das ist Erholung!

Ich kehre zurück zum Bild der Menschen auf der Uferpromenade, die sich nun in Stille den Betrachtungen hingeben. Wäre Freude sichtbar, könnten wir eine helle Wolke sehen, die sich wie ein leuchtendes Band um alle und alles legt. Ganz anders als das düstere Gebilde, das zuvor diese Menschen eingehüllt hat.

In dieser hellen Wolke gibt es keine Gedanken an Sorgen, an Ängste, an Krieg und Zerstörung. Es gibt kein Vergleichen, kein Verurteilen, kein Planen und kein Ziel. Dafür gibt es Gelassenheit, Offenheit, Vertrauen und Freude!

Würden diese Menschen, die hier ihren Urlaub verbringen, täglich, wenn auch nur für kurze Zeit, diesen Zustand erleben, würde sich vieles verändern.

Zugegeben – zuhause, in der gewohnten Umgebung, ist es schwieriger, sich in diese stille Beobachtung zu begeben. Der Lärm der kollektiven Gedanken und die meist zugebaute Natur machen es schwieriger. Und trotzdem: Es gibt überall die Möglichkeit, einen Platz zu finden, der uns wieder ins Herz bringt. Die äußere Natur ist hilfreich, aber nicht Bedingung dafür!

Und jetzt stelle ich mir vor, wie nicht nur jene Menschen auf der Uferpromenade zu ihrer Freude finden, sondern auch alle anderen.

Die helle Wolke würde sich von einem zum anderen verbinden, sich über Länder und Kontinente erstrecken. Was würde wohl geschehen?

Genau kann ich das nicht sagen, aber eines weiß ich: Es wären sicher keine Kriegstreiberei, kein Gehetze, kein Stress und kein Zwang vorhanden.

„Schöner Gedanke“, sagst du jetzt vielleicht, „aber halt eine unrealistische Träumerei.“

Ja, vielleicht.

Andere Menschen stellen sich dauernd düstere Szenarien vor und schüren ihre Fantasie und Ängste vor dem, was auf uns zukommen könnte.

Vielleicht sind das ja auch unrealistische Träumereien.

Wir können nicht wirklich wissen, was alles geschehen wird. Die Zukunft ist offen.
Aber frag dich doch einfach: Bei welcher Träumerei fühlst du dich besser?

Du kannst an dir selbst erleben, was Freude in dir bewirken kann, wie sie dein Leben beeinflusst. Was glaubst du, geschieht, wenn Millionen von Menschen sich für Freude entscheiden? Wenn sie sie immer und immer wieder erleben wollen?

Freude ist etwas, das wir bereits in uns haben. Wir finden sie, wenn wir bereit sind, uns zurückzuholen. Uns zu entspannen. Ruhig zu werden, richtig hinzuschauen, richtig zuzuhören. Die Natur betrachten, die innere und die äußere.

Nicht nur im Urlaub, auch im Alltag, und immer wieder dann, wenn wir uns in äußeren Dingen verloren haben. Vielleicht gibt es in unserem Inneren so etwas wie eine Art Hundeleine, die uns zurückzieht, wenn wir uns zu weit entfernt haben. Je mehr Menschen zu ihrem Inneren, zu ihrem Herzen zurückgeholt werden, desto weniger gefährlich steht es um das gesamte Weltklima. Sowohl energetisch als auch physisch.

In dem Sinne wünsche ich dir gute und echte Erholung, egal wo du bist.


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